Dr. Rainer Grimm: „Beides – klassische Ausbildung und große Freiheit in der künstlerischen Arbeit – macht Anna Eisermann aus.“

DR. RAINER GRIMM: EINFÜHRUNG IN DIE AUSSTELLUNG VON ANNA EISERMANN

AUSSTELLUNG IM BÜRGERSAAL VOM 28.09. - 09.11.2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich, dass ich heute mit Ihnen die Ausstellung von Anna Eisermann eröffnen darf. Dass Anna Eisermann eine ganz besondere Künstlerin ist, haben Sie vielleicht schon sehen können, als Sie hereingekommen sind.

Bevor ich Ihnen Informationen über die Künstlerin gebe und dann auf die Bilder eingehe, möchte ich noch kurz die Arbeit des Kunstvereins Gehrden würdigen. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass sich Menschen in ihrer Freizeit zusammenfinden, um zeitgenössische Kunst in ihrem Heimatort einer größeren Öffentlichkeit zu zeigen. Ich kann ja hier nicht alle erwähnen, die an dieser Ausstellung mitgewirkt haben – aber Herrn Goldbecker möchte ich doch kurz nennen, er hat die Bilder gehängt. Und als ich am Donnerstag zum Vorgespräch hier war, stand er gerade auf einer so hohen Leiter, dass mir schon vom Zusehen schlecht wurde.

Anna Eisermann ist 1980 auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim geboren. Wir haben im letzten und diesem Jahr ja viel über die Krim und die Ukraine gehört, gelesen und / oder ferngesehen. Für Anna Eisermann, die von der Krim hierhergekommen ist, dort Verwandte, Freunde, Bekannte hat, die intensive Erinnerungen mit den Orten verbindet, ist es natürlich eine ganz andere Situation als für uns, für die dieser Konflikt ja nur medial vermittelt existiert. Dass dieser persönliche Bezug zur Krim und der Ukraine für die Künstlerin eine wichtige Rolle spielt, das zeigt sich natürlich auch in ihren Arbeiten. Darauf komme ich später zurück. Vorher aber noch einige biographische Daten.

Anna Eisermann ist im Jahr 2001 – also mit 20 / 21 Jahren – nach Deutschland gekommen, um hier ihr Kunststudium fortzusetzen. Mit 21 Jahren ein Studium fortzusetzen – das ist etwas, was in unseren Ohren doch merkwürdig klingen mag. Viele beginnen in diesem Alter gerade ein Studium ...... Das liegt daran, dass die Ausbildung in der Ukraine anders ist als bei uns. Die jungen Leute können und müssen sich dort schon sehr früh spezialisieren – Anna Eisermann hat also ihre Ausbildung als Künstlerin schon sehr früh begonnen.
Wie sie mir im Vorgespräch erzählte, waren ihre späteren Kommilitonen in Deutschland sehr überrascht, als sie ihnen erzählte, dass sie während der Ausbildung in der Ukraine etwa morgens vier Stunden gemalt und am Nachmittag dann fünf Stunden gezeichnet hat – und das über Jahre hinweg. Durch diese erste Ausbildung in der Ukraine verfügt sie also über hervorragende technische und gestalterische Fähigkeiten.
In ihrem zweiten Studium an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel hat sie dann die westliche zeitgenössische Kunst in all ihren Ausformungen kennengelernt.

Ich denke, dass man die Kunst von Anna Eisermann nur verstehen kann, wenn man diese beiden unterschiedlichen Pole bedenkt – einerseits hat sie eine klassische Ausbildung in der Ukraine genossen und andererseits in Deutschland etwas kennengelernt, was dort in dem ja doch recht starren System fehlte. Das ist die Freiheit der Kunst, des persönlichen Ausdrucks – aber auf der anderen Seite auch die Freiheit des Marktes mit allen seinen teilweise sehr schwierigen Nebenwirkungen. Beides – klassische Ausbildung und große Freiheit in der künstlerischen Arbeit – macht Anna Eisermann aus.
Dieser doppelte Bezugspunkt lässt sich auch in den Bildern ablesen. Technisch gesehen malt sie dabei häufig ‚aus dem Fleck‘ heraus – man muss sich das so vorstellen, dass sie unterschiedliche Ölfarben auf die Palette gibt, mit dem Borstenpinsel hineingeht, vielleicht dabei schon einen Farbton ausmischt und dann die Farbe auf die Leinwand setzt. Aus diesem Tun entwickelt sich langsam das ganze Bild. Vielleicht tritt sie nach dem ersten Setzen der Farbe zurück, überlegt wie es weitergehen könnte, dann setzt sie einen zweiten Farbklecks und so entsteht in langsamen Schritten das Bild.
Ich hatte ja schon gesagt, dass sie Ölfarben für ihre Arbeiten verwendet. Die Ölfarben haben den Vorteil, dass sie ganz unterschiedliche Wirkungen ergeben können, je nachdem ob man sie pastos, also sehr dick aufträgt oder ob man sie lasierend, also verdünnt vermalt. Schon an der unterschiedlichen Art des Auftrags kann man die Qualität der Künstlerin erkennen.

Diese Haltung, das Bild erst in einem ständigen Dialog entstehen zu lassen, zeigt im besonderen Maße etwas, was aber letztlich für alle gute Kunst gilt. Ein gutes Kunstwerk lässt sich nicht restlos auflösen, es enthält immer ein Geheimnis, das sich nicht in Worten wiedergeben lässt. Kunst ist immer mehrdeutig – und das macht letztlich ja auch erst ihren Reiz aus.

Ich möchte nun auf zwei Arbeiten etwas genauer eingehen. Das erste ist von 2010 – es trägt den beziehungsreichen Titel: Krieg und Frieden. ‚Krieg und Frieden‘ – da denkt man sicher zunächst auto-matisch an den großen Roman von Tolstoi – aber während in dem Roman menschliche Schicksale im Vordergrund stehen, sieht man auf diesem auf eine menschenleere Landschaft. Seltsam ist, dass die Farben offensichtlich nicht der Realität entsprechen. Das Blattwerk der Bäume ist in einem hellen Blau gegeben, die Landschaft selbst rosa bzw. grün. Und das Meer ist schwarz. Und noch etwas irritiert an diesem Bild – das ist das monströse Gebäude, das sich an der Küste befindet.
Es ist anzunehmen, dass die Künstlerin hier eine stark abstrahierte und farblich verfremdete Ansicht der Krim gemalt hat. Wie in vielen ihrer Bilder kommen unterschiedliche Sichtweisen zum Tragen. Auf der einen Seite sind es die natürlichen, wenn auch malerisch vereinfachten Formen. Auf der anderen Seite ist es der graue Kasten, der die scheinbare Idylle verunstaltet.
Dann gibt es aber auch Unterschiede in der Darstellung – die Landzunge, die in das Meer hineinragt sieht realistischer aus als der den Vordergrund auf der linken Seite dominierende stark abstrahierte Baum. Und natürlich ist die Natur ‚chaotischer‘ dargestellt als der geometrische Kasten.
Anna Eisermann hat mir davon erzählt, wie für sie das Leben in der Ukraine war und wie das Leben jetzt hier erlebt. Hier in Deutschland sei alles genormt, es sei praktisch, jedermann versuche sein Leben durchzuplanen, sich für alle Eventualitäten abzusichern usw. Dagegen sei das Leben in der Ukraine chaotischer, es sei nicht vorhersehbar, man müsse immer improvisieren, man müsse damit klarkommen, was gerade ist.

Ich glaube, man kann das auch auf dieses Bild beziehen. Hier kommen zwei unterschiedliche Denkweisen zusammen. Die Natur – bis hin zu den blauen Bäumen (mir fiel sofort die ‚Blaue Blume‘ der Romantik ein) Nach Wikipedia steht sie für Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen. Die blaue Blume wurde später auch ein Sinnbild der Sehnsucht nach der Ferne und ein Symbol der Wanderschaft.
Die Natur steht also hier für das frei gewachsene, das Ungezügelte. Dagegen ist der graue Kasten rational durchgeplant.

Im Unterschied zu diesem Landschaftsbild von 2010 sind viele der neu entstandenen Bilder ganz anders aufgebaut. Sie gehen im fast immer von einem Zentrum aus, auf das sich alle Bildteile beziehen lassen. Das ist beispielsweise der Fall bei Bild von 2014. Es trägt den beziehungsreichen Titel: ‚Neue Folklore‘. Man kann es als typisch für viele neuere Arbeite ansehen. In fast allen tauchen volkstümli-che Motive auf, diese scheinbare Idylle wird dann aber wieder durchbrochen, indem andere Zeichen und Motive daneben gesetzt werden.

Zunächst ist mir diese rote Kreuzform aufgefallen, die sich leicht unterhalb der Mitte befindet. Dieses Kreuz selbst besteht wieder aus kleinen Kreuzen, es endet jeweils in roten Dreiecken, in denen sich halbkreisartige Formen in schwarz befinden. Durch die Formen darunter entsteht der Eindruck von so etwas wie Helme mit darunter befindlichen Köpfen.

Um das Kreuz herum ist mit helleren Farben – in Ocker und Grün – etwas gemalt, was ich nicht erkannt hätte. Wie mir die Künstlerin im Gespräch erklärte, handelt es sich um eine Landkarte der Krim. Ich habe zuhause nachgeschaut – es ist tatsächlich so.
Oben sieht man das Festland der Ukraine im unteren Bereich eben die Halbinsel. Und das dunkle Blau um die Krim herum ist oben rechts das Asowsche und im Übrigen das Schwarze Meer.
Die Künstlerin hat mir erzählt, dass sie die ornamentalen Formen in der bildnerischen Mitte an sich von einer Stickerei ihrer Uroma übernommen hat. Die an Helme erinnernden Formen oben und unten sind Kürzel, die vermutlich jeweils für Soldaten stehen. Sie sind die ‚anonymen Mächte‘, die alles bedrohen.

Man kann dieses Bild aber auch anders herum lesen – dann haben wir einen Rhombus in der Mitte, von diesem Rhombus, dem eigentlichen Zentrum des Bildes aus gehen Strahlen in vier Richtungen. Um die Krim dreht sich bei dieser Sichtweise das ganze Bild, sie ist Ausgangspunkt und Ziel allen Handelns.
Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Rhombus in der Mitte nun auch der malerische Ausgangspunkt des Bildes gewesen ist und dass die Künstlerin von hier aus mit kräftigen Farben weitergemalt hat.

Anna Eisermann hat vom ‚Kaleidoskop‘ gesprochen – und tatsächlich kann man dieses Bild auch wie ein Kaleidoskop ansehen. Es sind in der Tat ‚schöne Formen‘, die man hier finden kann, aber diese ‚schönen Formen‘ verbergen – mindestens an den Rändern – die Bedrohung, die von den ‚anonymen Mächten‘ ausgeht. Schon im Titel: ‚Neue Folklore‘ zeigt sich der Widerspruch, der in dem Bild steckt. Eine ‚Neue Folklore‘ kann es an sich ja nicht geben – ‚Folklore‘ ist immer etwas Vorgegebenes.

Wenn man sich diese bedrohliche inhaltliche Dimension vergegenwärtigt, dann sollte man aber auch nicht vergessen, wie Anna Eisermann ihre Bilder malt. Sie verfügt über eine profunde Technik, sie kann ‚aus dem Fleck‘ heraus malen, sie kann aber auch vorzüglich zeichnen, wie man beispielsweise auf dem Bild sehen kann, das draußen auf dem Flur hängt. Da ist ein Mann fast nur mit Umriss- und Binnenlinien vor einer geradezu apokalyptisch aussehenden Landschaft wiedergegeben.

Was mich an allen Arbeiten fasziniert, ist, dass Anna Eisermann es versteht, bedrohliche Inhalte auf eine leichte Art und Weise darzustellen. Sie verharmlost nichts, dennoch wirken die Bilder nicht depressiv. Die Verbindung volkstümlicher Motive mit modernen Elementen ist im besten Sinne poetisch.

Ich hatte ja vorhin schon gesagt, wodurch sich gute Kunst dadurch auszeichnet – sie ist immer mehr-deutig, sie lässt sich nicht einfach auf einen Begriff bringen. Genau das macht auch die Qualität der Bilder von Anna Eisermann aus.
Es gibt in jeder Zeit und Gesellschaft immer wieder diese schrecklichen Vereinfacher, die uns weismachen wollen, was zu tun sei. Und vor denen kann man nicht genug warnen.
Schließen möchte ich mit einem Gedicht von Rainer Maria Rilke, das mich seit langem beschäftigt.

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn, und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Ich wünsche Ihnen viele anregende Gespräche über und mit den Bildern.


Dr. Rainer Grimm · 1939 in Hannover geboren, 1967 – 1970 Studium für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen, Hauptfach ‚Kunst’, von 1970 – 1978 Lehrer, danach Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hannover im Fach Bildende Kunst, 1984 Promotion zum Dr. phil., von 1984 –2004 Kunsterzieher an der IGS Langenhagen, Leiter von Fort- und Weiterbildungskursen, Fachmoderator an Niedersächsischen Gesamtschulen, seit 2004 Mitglied der Gruppe 7, lebt und arbeitet in Hannover.

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Krieg und Frieden, 2010, Öl auf Leinwand, 80 x 120 cm

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Nweue Folklore, 2014, Öl auf Leinwand, 155 x 120 cm


BILDER DER AUSSTELLUNG